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Kompaktscheibe Verhalte dich ruhig

Die Tür zum Latrinengebäude steht offen. Ein etwa einen halben Meter hoher und ein Meter breiter gemauerter Kasten durchzieht die gesamte Länge des Raumes. In seiner Oberseite sind zwei Reihen von Löchern, jeweils von tellergroßem Durchmesser eingelassen, so dass wohl an die hundert Gefangene Rücken an Rücken und Schulter an Schulter gleichzeitig ihre Notdurft verrichten konnten. Verhalte dich ruhig steht in Frakturschrift im Abstand von einigen Metern mehrmals auf der Wand. Es ist wohl die in diesen Worten zum Ausdruck kommende, direkte, vertrauliche Ansprache, die mich merkwürdig berührt und sogleich in die Rolle eines Häftlings schlüpfen lässt. Verhalte dich ruhig, welch ein Hohn angesichts des brüllenden Befehlstons, der überall, zu jeder Tages- und Nachtzeit herrschte. „Macht, dass ihr raus kommt, ihr Judensäue, schnell, schnell!“ Und nieder fahren die Knüppel auf kahlgeschorene Schädel und ausgemergelte Rücken, lebende Skelette drängen sich hintereinander zu den Aus- und Eingängen, wehe dem, der stürzt und sich nicht schnell genug erheben kann!Der wird entweder von den Holzpantinen der anderen tot getreten oder vom selektierenden Auge eines SS-Mannes gesichtet.

(Aus: Willkommen in Oświęcim)

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